Vortrag: Lernort Friedhof
gehalten auf der Tagung: „HISTORISCHE JÜDISCHE FRIEDHÖFE IN NIEDERSACHSEN“ am 24. Januar 2024 im Kulturzentrum "Pavillon" in Hannover. Ausgerichtet von der Technischen Universität Braunschweig - Bet Tfila - Forschungsstelle für jüdische Architektur in Europa und der Stiftung niedersächsische Gedenkstätten, im Panel Historische Jüdische Friedhöfe als ausserschulische Lernorte.
Jüdischer Friedhof Bleckede – ein gewachsenes Projekt ohne "Konzept"?
von Bodo Christiansen und Henning Bendler
Unser Thema ist das Konzept „Jüdischer Friedhof Bleckede“ - Konzept in Anführungszeichen! Unser beider Projekt ist die Internetseite judeninbleckede.de. Ein zentraler Teil davon ist der jüdische Friedhof.
Abb. 1: Jüdischer Friedhof Bleckede (Foto und Copyright B. Christiansen)
Bleckede ist eine kleine Stadt an der Elbe im Landkreis Lüneburg - gegründet 1209. Seit 1730 werden in Bleckede jüdische Einwohner nachgewiesen (1). Seit 1752 besteht der jüdische Friedhof, ca. 2 Km außerhalb der Stadt mitten im Wald (2). 1802 wurde er auf die heute noch bestehende Fläche erweitert (3).
Heute existieren dort noch 33 Grabsteine von den ehemals wahrscheinlich ca. 70. Das heutige Bild des Friedhofes ist das Ergebnis der Zerstörungen nach der Reichspogromnacht 1938, der vier Beisetzungen von sowjetischen Kriegsgefangen und Zwangsarbeiterinnen 1943/44, den Verwüstungen in den 80er Jahren und zuletzt 2016.
Abb. 3: Plan des Jüdischen Friedhofes Bleckede Friedhofes (Zeichnung und Copyright H. Bendler)
Viele Zuständigkeiten
1952 ging der Friedhof auf die Jewish Trust Corporation über, ab 1959 bis heute ist er – voll funktionsfähig und unter Denkmalschutz - im Eigentum des Landesverbands der jüdischen Gemeinden von Niedersachsen. Trotzdem ist die Stadt Bleckede auf dem Friedhof tätig geworden.1952 stellte die Stadt die umgestürzten und zerstreut liegenden, noch erhaltenen Grabsteine im Halbkreis auf. Das geschah nach Intervention von Hedwig Stone, geb. Katzenstein, geboren 1896 in Bleckede, nach England emigriert und zu Besuch in ihrer Geburtsstadt (4). Eine Anfrage sowjetischer Behörden initiierte die Anlage der Kriegsgräber, wie sie heute sichtbar sind (5). Seitdem führte die Stadt Bleckede am Volkstrauertag eine Gedenkveranstaltung auf dem Friedhof durch, dabei wurde ein Kranz im Halbkreis der aufgestellten Grabsteine abgelegt.
Abb. 4: Die im Halbkreis wieder aufgestellten Grabsteine mit Kranz (Foto: Slg. H. Bendler)
Unter einzelnen Bürgern wuchs mehr und mehr das Unbehagen an dieser „Gedenkpraxis“. Im Vorfeld des 800ährigen Stadtjubiläums 2009 gründeten einzelne Bürger die Arbeitsgruppe „Juden in Bleckede“, um der jüdischen Geschichte der Stadt besser als bisher gerecht zu werden. So entstand 2008 die Idee für ein „Denkmal für die 1940 - 44 ermordeten Juden“ aus Bleckede im Schlosspark nahe der Innenstadt. Es wurde 2011 eingeweiht.
Internetprojekt judeninblecke.de
Die Initialzündung für unser Internetprojekt war die Frage nach der Lebensgeschichte hinter den Namen auf dem Denkmal. Dadurch wurde auch der Friedhof, als noch einzig dinglich existierendes historisches Objekt, wichtig. Die Erkenntnisse zum Friedhof verdanken wir vor allem der Forschung von Beate Linde Weiland. Ihre Arbeit ist Teil des Buches:
Erich Woehlkens, Lisa Kuhlmann, Beate Linde Weiland: “Beiträge zur Geschichte der Juden in Uelzen und in Nordostniedersachsen“, herausgegeben für die Stadt Uelzen von Ralf Busch, Isensee Verlag, Oldenburg 1996
Wir erhielten die Erlaubnis die Kapitel des Buches, die den Friedhof Bleckede betreffen, auf unserer Internetseite zu veröffentlichen. Die Dokumentation der Grabsteine erfolgte durch Linde Weiland bereits 1982. Das Buch ist vergriffen. Teile sind durch judeninbleckede.de weiter zugänglich. Jeder kann über das Internet auf die Dokumentation zugreifen, und sie auch so lesen, wie sie ursprünglich im Buch gedruckt war. Wir haben an einzelnen Stellen Ergänzungen eingefügt.
Abb. 5: Hinweisschild am Friedhof mit QR-Code (Foto und Copyright H. Bendler)
Zusätzlich ist ein direkter Zugang als „Information vor Ort“ durch einen QR-Code am Zugang zum Friedhof möglich. Er kann auch ein Einstieg in forschendes Lernen vor Ort sein. Durch den QR-Code wird ein interaktiver Lageplan des Friedhofes mit einer Liste der einzelnen Grabsteine aufgerufen.
Abb. 6: Bildmontage der Webseite "Lageplan und Gräberliste"
Auf der Webseite im Internet ist jeder Grabstein im Plan und jeder Name auf der Liste einzeln anwählbar. Als Beispiel hier das Bild der Internetseite für das Grab Nr. 26 von Joseph Elkan.
Abb. 7: Bildmontage der Internetseite Grab Nr. 25 (Joseph Elkan)
Informationen vor Ort
Da sich der Friedhof weit außerhalb der Stadt und abgelegen im Wald befindet, war eine Ausschilderung und Markierung des Weges dorthin nötig. Zuerst durch Wegweiser an der Landesstraße nach Lüneburg und am Zugang zum Friedhof. Zusätzlich haben wir Wegmarkierungen, im Stile eines Wanderweges, mit hellblauen Quadraten an den Bäumen angebracht. Später wurden Verkehrsschilder aufgestellt, die eine Zufahrt zum Friedhof regeln.
Abb. 8: Wegmarkierung und Beschilderung (Fotos und Copyright H. Bendler)
Nach den Verwüstungen im Jahr 2016 errichtete der Landesverband ein Eingangstor zum Friedhof. Zusätzlich wurde eine Informationstafel neben dem Tor angebracht.
Abb. 9: Tor am Jüdischen Friedhof in Bleckede (Foto und Copyright H. Bendler)
Abb. 10: Infotafel am Jüdischen Friedhof Bleckede (Foto unf Copyright H. Bendler)
Veranstaltungen
Es gab zahlreiche Veranstaltungen zum und auf dem Friedhof: Schulprojekte, Führungen und Treffen.
Projekte mit Schulen:
2009 fand ein - Schulform übergreifender - vierwöchigen Projektunterricht zum Thema: „Jüdischer Glaube - Judentum“ - mit einer Ausstellung der Ergebnisse im Schulzentrum statt.
2016 wurde eine Projektwoche der Hauptschule zum Thema „Jüdische Spuren in Bleckede“ durchgeführt. Beim Besuch auf dem Friedhof mussten auch die Schüler und Schülerinnen teilnehmen, die die Zerstörungen 2016 begangen hatten.
Abb. 11: Schülerinnen bei der Projektarbeit (Foto und Copyright B. Christiansen)
Führungen:
Es fanden mehrere öffentlich angekündigte Führungen z. B. zusammen mit dem Kultur- und Heimatkreis Bleckede statt.
Ebenso angemeldete Führungen für Gruppen und Vereine (u.a. für Landfrauen, den Club Geselligkeit Bleckede von 1920, die Gesellschaft für Christlich - Jüdische Zusammenarbeit).
Die Schulprojekte waren immer auch verbunden mit Führungen auf dem Friedhof.
Und es gab Besuche von interessierten Politikern (so von Frau Lotze, MdB, SPD, und von Frau Staudte, MdL, Grüne).
Abb. 12: Führung auf dem Friedhof im Mai 2009 (Foto: R. Jockel)
Der Friedhof als Treffpunkt
Der Friedhof war ein, z.T sehr bewegender, Ort des Treffens mit Nachkommen jüdischer Bürger aus Bleckede mit uns; u.a. mit Nachkommen der Familie Rosen aus Hamburg und Kassel, mit Nachkommen der Familie Plaut aus Buenos Aires und Israel, Nachkommen der Familie Moses gen. Süßkind aus Hamburg und England und Nachkommen der Familie Obermeyer-Benjamin aus den Niederlanden.
Die Verbindung zu ihnen kam häufig über das Kontaktformular von judeninbleckede.de zustande.
Es gab ein Treffen von vielen Spendern am Friedhof zum Abschluss der Spendenaktion zur Beseitigung der Schäden nach den Zerstörungen 2016.
2019 versammelten sich zahlreiche Bürger, Vertreter der Stadt und des Landesverbandes der jüdischen Gemeinden in Niedersachsen zur Enthüllung der Infotafel am Friedhofseingang.
Wichtig ist uns an diesen Treffen, dass eine Community zusammen kommt, die sich für den Friedhof mit verantwortlich fühlt und bereit ist,wenn es sein muss, sich zu engagieren. Das macht Mut!
Unser Fazit
Rückblickend kann man sagen, dass ohne Planung - durch die Aktivitäten Einzelner - eher zufällig - eine Struktur für einen Zugang zum Thema „Jüdischer Friedhof Bleckede“ als ein Teil der Stadtgeschichte entstanden ist: nämlich durch Information vor Ort, über die Internetseite judeninbleckede.de und durch Veranstaltungen. Was fehlt ist eine verbindliche, institutionell abgesicherte Zukunftsperspektive für den Friedhof als „Lernort“ und eine nachhaltige Verankerung seiner historischen und kulturellen Bedeutung im Bewusstsein der Stadt.
Für unser beider Internetprojekt judeninbleckede.de wollen wir verstärkt den Fokus auf die 300-jährige jüdische Geschichte legen. Wir bauen dabei auf unsere Forschung, der von Kollegen und den Beiträgen von Nachkommen und interessierten Bürgern, Lehrern und Schülern. Das Internet erleichtert dabei unsere Arbeit.
Fußnoten:
1. Obenaus, Herbert (Hrsg.); Bankier, David / Fraenkel, Daniel: Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinden in
Niedersachsen und Bremen, Göttingen: Wallstein Verlag, 2005, S. 216.
2. Vertrag abgedruckt in: Linde Weiland: „b. Bleckede“, in:
Busch, Ralf (Hrsg. für die Stadt Uelzen) / Woehlkens, Erich / Kuhlmann, Lisa / Weiland, Beate Linde: Beiträge zur
Geschichte der Juden in Uelzen und in Nordostniedersachsen. Isensee Verlag: Oldenburg 1996, S. 266, 269.
(Original im Landesarchiv Niedersachsen, Abt. Hannover: Hann. 88/38).
3. ebda. S. 269 ff. (Original im Landesarchiv Niedersachsen, Abt. Hannover: Hann. 72 Bleckede 226).
4. Walter Neumann, ehem. Stadtdirektor in Bleckede und Stadtarchivar: „Akte Judenfriedhof, Briefwechsel“, Stadtarchiv
Bleckede.
5. Die Gräber wurden wahrscheinlich – wohl abweichend von der ursprünglichen Lage - in den 1970ern angelegt:
mündliche Mitteilung von Manfred Fischer †, ehem. Mitglied des Stadtrats Bleckede, 2009 (B. Christiansen).